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Berichte

Über das Reich-Sein
28.07.2010 - 00:02 Uhr
 

Heute gibt es einen kleinen Sonder-Bericht.

Da ich grade jetzt im letzten Monat vor meiner Ausreise mit vielen Freunden und Bekannten über meinen Dienst in Ghana spreche und dabei nach wie vor auf erschrockene, entsetze und unverständliche Meinungen treffen, möchte ich diese Thematik heute kurz diskutieren.

"Ich kann nicht verstehen, wieso du in ein so unterentwickeltes Land möchtest. Da gibt es doch NICHTS."

"Hier in Deutschland gibt es auch genug Hilfsbedürftige."

"Die in Afrika sollen erstmal selbst mit ihren ganzen Problemen zurecht kommen."

"Die Afrikaner müssen einfach strukturierter und zielgerichteter arbeiten, um ihre Armut zu besiegen."

Solche und andere Sätze höre ich fast jeden Tag und ganz besonders auffällig ist dabei in meinen Augen die fast selbstverständliche Anlegung der westlichen Standards als Maßstab für die Entwicklung und das "Reich-Sein". In den Augen der Europäer ist der Mensch dann glücklich, wenn er durch zielstrebige und koordinierte Arbeit möglichst viel Geld angesammelt hat. Wenn ich von der Arbeitsmoral der Ghanaer berichte, welche mitunter vom Wetter abhängt oder anderen Vorlieben hinten angestellt wird, so trifft dies häufig auf Unverständnis und bewirkt Reaktionen wie: "Dann ist es ja kein Wunder, dass die so arm dran sind."

Sind die Afrikaner wirklich arm?
Dieser Frage stellten wir uns auch schon in einem der Vorbereitungsseminare in Kassel. Ich vertrat dabei stets die Ansicht, dass die Afrikaner auf gar keinen Fall arm sind, sondern im Gegenteil sogar in vielerlei Hinsicht reicher als wir Deutschen. 

Die Afrikaner sind vor allem reicher an Lebensfreude und reicher an zwischenmenschlichen Beziehungen. Diese sozialen Komponenten werden von den Europäern leider in ihrer Wertung über den Kontinent fast nie berücksichtigt.
Man wird einen Afrikaner selten öffentlich traurig sehen, im Gegenteil verbreiten diese Menschen oftmals von Grund auf eine fröhliche Stimmung in ihrer Umgebung. Und das trotz schlechtester finanzieller Bedingungen und einem Leben am Existenzminimum.
Man betrachte nun im Gegenzug dazu die Volkskrankheit Depression in Deutschland - 13% der Jugendlichen leiden an Depressionen, 12.000 Suizide sind jährlich auf diese Krankheit zurückzuführen. Und das trotz einem überschwänglichen Luxusleben mit iPhone, Computern und Geld im Übermaß.

Nehmen wir ein weiteres Beispiel:
In Ghana ist es eine Selbstverständlichkeit, andere Menschen auf der Straße freundlich zu grüßen, nach dem Wohlbefinden zu fragen, einen Plausch abzuhalten und gerne auch auf ein Getränk oder zum Essen zu sich nach Hause einzuladen. Selbst wenn kaum Essen für die Familie da ist - es wird mit dem Gast geteilt. Das Leben findet auf der Straße statt und alle Menschen reden freudsam miteinander.
Gegenbeispiel Deutschland: Kann man sich vorstellen, jemanden Wildfremden auf der Straße anzusprechen, nach dem Wohlbefinden zu fragen oder gar zum familiären Abendessen mit nach Hause zu bringen? Auch verlagert sich das öffentliche Leben immer mehr ins Internet. Dank Social-Network-Communities verlieren die Menschen den persönlichen Kontakt. Vor dem Bildschirm sitzend und auf die Tastatur hauend, anstatt sich kurzerhand persönlich zu sehen.

Betrachtet man diese Aspekte, von denen ich jetzt nur zwei Beispiele aufgegriffen habe, so denke ich, dass Afrika keinesfalls arm ist. Die Menschen sind glücklich mit ihrem (einfachen) Leben und das ist es doch eigentlich, was zählt. In Deutschland bringen sich die Bankenchefs wegen der Wirtschaftskrise um. Und was bringt es Ihnen, wenn sie unzählige Millionen bis zum Tod verdient haben? Wirklich gelebt haben sie nicht. Es ist schwierig, meine Ansicht in Worte zu fassen, jedoch hoffe ich, dass die Aussage klar wird.

Jetzt möchte ich die logische Reaktion aufgreifen: "Du bist doch genauso!"
Das ist richtig und wäre auch schlimm, wenn es nicht so wäre. Ich bin in unserer kapitalistischen Welt aufgewachsen und während ich in dieser lebe, muss ich mich auch ihren Normen unterziehen. Doch ich habe keinesfalls vor, meine Ideale missionarisch nach Ghana zu transportieren.
Wie oben aufgezeigt bringt unsere Lebensweise zwar wirtschaftlich bessere Erfolge als das lockere Leben in Afrika, aber dennoch würde diese Anpassung des Landes an die westliche Welt einen absoluten Identitäsverlust der Menschen bedeuten. Leider ist dieser schon in vollem Gange und nicht mehr aufzuhalten. Durch das Fernsehen schwappen die Bilder aus Amerika und Europa auch ins traditionellste Hinterland und vermitteln das Bild einer wunderbaren, glücklichen Welt im Luxus.

Es ist sicher ein Ding der Unmöglichkeit, den Menschen in Ghana beizubringen, dass unsere Welt nicht nur schön ist, sondern auch wir nach und nach an Arbeitslosigkeit, Burn-Out-Syndrome und Depressionen untergehen.

So gesehen ist mein Dienst in Ghana fast ein Paradoxon. Ich bin im traditionellsten Hinterland von Ghana tätig, um dort Schülern den Umgang mit modernster Computertechnik zu lehren. Während der Dorfälteste nach wie vor hierarchisch das Dorf regiert und die Lehmhütten kunstvoll bemalt werden, katapultiere ich die Schüler in Bill Gates Welt von Excel, Word und PowerPoint. Ist das wirklich richtig so? Wollen die Menschen das? Ich denke, dass sie es sehr wohl wollen und dankend annehmen, da sie der Hoffnung sind, so einmal in die vermeintlich schöne Welt der Reichen aufsteigen zu können. Ich werde mich diesem Wunsch nicht verweigern, doch denke ich selbst, dass mein Dienst sehr kritisch zu sehen ist.

Ich bin jedoch froh, noch in einem sehr traditionellen Gebiet von Ghana tätig sein zu dürfen. Denn so bekomme ich noch etwas vom wahren Gesicht der Menschen mit. Sollten weiterhin jährlich zig tausende Freiwillige nach Afrika geschickt werden, so wird auch dort in hundert Jahren kaum noch etwas von der Lebensfreude der Menschen zu spüren sein. Wenn die Afrikaner voll vernetzt auch nur noch via Facebook kommunizieren und kapitalistisch der Wirtschaft dienen ist die Schönheit des Kontinentes verloren gegangen. "In einer Welt in der man nur noch lebt, damit man täglich roboten geht" [Die toten Hosen]. Ich lege mit meinem Dienst den Grundstein dafür, doch bin froh, selbst noch nicht in dieser Welt leben zu müssen.

Aus diesem Grunde gehe ich in das ärmste und traditionellste Gebiet von Ghana! "Es gibt doch dort fast nichts."? Doch! Die Menschen in ihrer Natürlichkeit - und darauf freue ich mich.

 

Ich würde mich sehr über andere Denkweisen und gegenteilige Ansichten oder Zustimmung per Kommentar-Funktion freuen.


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